Bereits vor 900 Jahren hat Hildegard von Bingen den Zusammenhang zwischen dem, was kränkt, und dem, was krank macht, deutlich gemacht. Heute spricht die WHO von Gesundheit bei Vorhandensein eines vollständigen körperlichen, sozialen und seelischen Wohlbefindens. Ist dies gestört, spricht sie von Krankheit. Eine Kränkung löst viele negative Gefühle aus und trägt das Potenzial in sich, krank zu machen. Studien zeigen: Wer glücklich ist, hat ein geringeres Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden.
Welche Bedeutung Gefühle für uns haben, erklärt Internist Walter Neubauer: „Es sind Nachrichten, welche die Seele an unser Bewusstsein schickt, um uns ihre Bedürfnislage mitzuteilen.“ Als Leiter des Departments für Psychosomatik für Erwachsene am Klinikum Wels-Grieskirchen versteht er: „Ein gutes Körpergefühl bedeutet, der Körper bekommt alles, was er braucht. Ein schlechtes bedeutet, da fehlt etwas. Bei der Seele ist es nicht anders: Sie schickt uns gute Gefühle, wenn die Seele gute Seelennahrung bekommt und umgekehrt reagiert sie ebenso.“ Eine Kränkung fühlt sich nicht gut an.
Wann empfinden wir etwas als kränkend?
„Bei einer Kränkung handelt es sich um eine Verletzung des Selbst oder von etwas, das uns sehr wichtig ist – meist durch den Entzug von Liebe oder Anerkennung. Die Kränkung trifft immer das Herz, das Innerste, das Wesen der Person.“
OA Dr. Walter Neubauer, Leiter des Departments für Psychosomatik für Erwachsene
Dabei wird der Gerechtigkeitssinn verletzt, oft sehr nachhaltig. Ob und wie diese Kränkungsbotschaft ankommt, ist abhängig von der Wertigkeit, welche die kränkende Person einnimmt. Ein Nahestehender verfügt somit über mehr Macht zu kränken als ein Unbekannter. Dabei ist zu beachten: „Jeder kränkt manchmal andere – auch unbewusst. Man kann nicht nicht kränken. Und: Man kann nicht nicht gekränkt sein.“
Mobbing ist organisiertes Kränken
Wenn aber eine regelmäßige systematische Ausgrenzung oder Erniedrigung eines Menschen durch andere erfolgt, handelt es sich um eine organisierte Kränkung, welche in den letzten Jahrzehnten durch den Begriff Mobbing bekannt wurde. Wie eine heuer im April veröffentlichte Sonderauswertung der Pisa-Studie 2015 zeigt, werden heute knapp 20 Prozent der 15-Jährigen zumindest einmal monatlich von Schulkollegen gekränkt. Eine Entwicklung, die auch vor dem Arbeitsplatz nicht Halt macht: Immerhin gehen zwei Prozent der österreichischen Bevölkerung aufgrund der Auswirkungen von Mobbing in Frühpension. Viele von ihnen leiden noch Jahre später an den psychosomatischen Beschwerden, die durch ein solches Leiden ausgelöst werden.
3 Tipps, um mit Kränkungen erfolgreich umzugehen
Bei einer seelischen Verletzung ist es ähnlich wie bei einer körperlichen: Der Verletzte benötigt eine Wundversorgung. „Normalerweise spült man eine Wunde, weil sie verunreinigt ist, im übertragenen Sinn kann es helfen, sich auszusprechen – indem man die entstandenen Gefühle in Worte fasst.“ Patienten bestätigen: „Einfach einmal reden können, das hat gut getan!“ Wer keinen geeigneten Gesprächspartner hat, kann niederschreiben, was ihn bewegt. „Dadurch schafft man Ordnung, es entsteht Orientierung und ich kann mich entscheiden, wie ich weiter agiere.“ Wichtig ist auch, etwas Abstand zu schaffen, um die eigene Gefühlswelt beruhigen zu können. Neubauer gibt seinen Patienten drei Anhaltspunkte, um erfolgreich mit der Kränkung umzugehen:
- Lernen Sie daraus! Hinter beinahe jeder Kränkung steckt ein Körnchen Wahrheit. Hinterfragen Sie, was die Kränkung über Sie selbst bzw. über Ihre Beziehung zum Sender aussagt! So erfahren Sie auch etwas über die kränkende Person. Es macht Sinn, in die Welt des anderen einzusteigen und zu hinterfragen, wie mich eigentlich der andere sieht. Versetzen Sie sich in die Lage des anderen, um ihn zu verstehen, wie er dazu kommt, so mit Ihnen umzugehen. So kann Kränkung auch einen positiven Effekt erfüllen.
- Lassen Sie los! Fixieren Sie sich nicht nur auf das Kränkungsgeschehen, sondern erweitern Sie den Blick und richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Dinge, die Ihrer Seele gut tun! Wenn Sie das geschafft haben, können Sie aus diesem Abstand heraus überlegen, ob und wenn ja, wie Sie mit der kränkenden Person in Kontakt gehen könnten.
- Sprechen Sie sanft! Dabei ist es entscheidend, wie Sie mit Ihrem Gegenüber kommunizieren. In den Worten unserer Kultur stecken viel Härte und Aggressivität, versuchen Sie, eine moderate Sprache zu finden und trotzdem das zu benennen, was in Ihrem Inneren vor sich geht.*
10 Jahre Psychosomatik am Klinikum Wels-Grieskirchen
„Wenn Sie bei der Bewältigung von Kränkungen nicht alleine zurechtkommen oder der Weg verfahren ist, scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen – das Department Psychosomatik für Erwachsene ist genau zu diesem Zweck da!“ Zehn Jahre Erfahrung am Klinikum-Standort Grieskirchen zeigen Walter Neubauer deutlich, dass ein enger Zusammenhang zwischen physischen und psychischen Vorgängen besteht. „Bei uns wirken viele Berufsgruppen zusammen, um Patienten dabei zu helfen, diese seelisch-körperliche Gleichgewichtsstörung wieder ausbalancieren zu lernen“, erklärt der Internist. Vor allem die kleinen Therapiegruppen und die Intimsphäre am Klinikum-Standort Grieskirchen tragen zur Heilung bei. „Es tut gut, wenn man das Gefühl hat, das wird jetzt nicht weitergetragen und ich werde so verstanden, wie ich es meine. Das ist sehr heilsam und extrem leidreduzierend.“
* Die Beachtung der vier Schritte der sogenannten „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg stellt eine wirkungsvolle Orientierungshilfe in einem solchen Gespräch dar.
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