Das Kreuz ein Stück weit mit den Patienten mittragen
Ebenso wie medizinische Spitzenleistung ist in einem werteorientierten Ordensspital hoher zwischenmenschlicher Einsatz und tiefgreifendes Verständnis für den Einzelnen wichtig: Im Klinikum Wels-Grieskirchen werden Menschen nicht nur aufgrund ihrer Diagnose behandelt, vielmehr steht der Mensch in seiner Gesamtheit im Mittelpunkt. Empathie ist dabei Grundvoraussetzung.
Ein Spitalsaufenthalt bringt für Patienten und ihre Angehörigen Fragen nach Gesundheit, Genesung und Existenz mit sich. Viele Emotionen sind im Spiel. Der Umgang mit Angst, Unsicherheit und Sorgen der ihnen Anvertrauten verlangt von den Klinikum-Mitarbeitern ein hohes Maß an Mitgefühl. Kann wirkungsvolles Einfühlungsvermögen erlernt werden oder „hat man es einfach“? Muss Verständnis stets authentisch sein, damit es ankommt? Wie kann man Mitgefühl zeigen, ohne mitzuleiden? Zwei Expertinnen erzählen von ihren Erfahrungswerten mit der Empathie im Spitalsalltag.
Ich muss dort anfangen, wo der Patient gerade steht
Sr. Agnes Rockenschaub ist Kreuzschwester und Krankenhausoberin am Klinikum Wels-Grieskirchen. Als Seelsorgerin unterstützt sie Patienten und Angehörige in Krisensituationen.
„Empathisch sein heißt, sich darauf einlassen, wie sich der Patient fühlt.“
Sr. Agnes Rockenschaub
Kreuzschwester und Krankenhausoberin
am Klinikum Wels-Grieskirchen
Empathisch sein bedeutet für mich
… sich darauf einzulassen, wie sich der Patient fühlt. Ich muss die Fähigkeit besitzen, mich in die Situation hineinzuspüren, und dort anfangen, wo der Patient gerade steht. Als Seelsorgerin bin ich auch in der Krisenbegleitung tätig. Zuhören ist dann die erste Aufgabe, um herausfinden, welche Unterstützung alle Beteiligten, auch Angehörige, benötigen. Man muss das Leid nicht immer 100-prozentig nachvollziehen können, aber zeigt, dass einem der Mensch wichtig ist. Patienten und Angehörige haben volles Vertrauen und liefern sich aus, denn nur dann kann es gut werden. Die Ruhe zu bewahren, ist wichtig.
Wie spiegelt sich Empathie konkret in meinem täglichen Tun wider?
Auslöser für akute Krisen sind meist plötzliche, massive Veränderungen der Lebensbedingungen, etwa durch Tod, Unfälle oder schwere Erkrankungen. Um Menschen in den schwersten Stunden zur Seite zu stehen, leisten Seelsorge, Klinische Psychologie und Klinische Soziale Arbeit psychosoziale und seelsorgliche Erste Hilfe. Angst, Trauer, Schmerz oder Einsamkeit bringen Menschen dazu, ihr Leben radikal in Frage zu stellen, Lebensbilanz zu ziehen, nach Schuld und Vergebung zu fragen und Versöhnung mit Gott und den Menschen zu suchen. In dieser Situation ist es auch möglich, sich Schritt für Schritt an den Glauben heranzutasten. Vor allem Sterbende und ihre Angehörigen sind dankbar für eine Begleitung in dieser Zeit. Segens- und Verabschiedungsfeiern geben Stärkung. In der Karwoche spielen religiöse Aspekte eine noch größere Rolle, die Patienten sind stiller und nachdenklicher, vor allem jene, die über Ostern nicht nach Hause gehen können. Das christliche Auferstehungsfest ist angesiedelt an einer Schwelle der Ruhe des Winters zur Kraft des Frühlings, zwischen Leiden, Tod und der Hoffnung. Es ist eine Zeit, zu welcher viele wieder Ja zum Leben sagen und eine Kraft spüren, mit welcher das Leben gelebt werden kann, wie es ist – in all seinen Facetten, mit all seinen Höhen und Tiefen.
Ich konnte es nicht besser
Schwerwiegende Ereignisse an den Abteilungen hinterlassen auch bei den Mitarbeitern des Klinikums große Betroffenheit. Eine der größten Herausforderungen ist, nichts nach Hause mitzunehmen. Die Mitarbeiter müssen trotz allem sie selbst bleiben können. Das Wegstecken, das Abgeben der Last am Abend, muss man lernen, jeder auf seine eigene Weise. Ich gebe sie dem Herrn zurück mit den Worten: „Ich konnte es nicht besser machen, jetzt mach du es!“.
Darf man an Orten, wo es viel Leid gibt, auch Freude zeigen?
Spaß und Freude am Arbeiten ist erlaubt und soll auch gezeigt werden. Die Betroffenheit ist trotzdem eine authentische. Man kann aber auch miteinander lachen, wenn zum Beispiel der Patient etwas Lustiges erzählt. Empathie ist immer dort, wo es uns gelingt, das Leben mit Mitgefühl, Würde, Freude und Respekt zu achten, zu leben und zu gestalten.
Eine Frage von Verständnis und Mitgefühl
Claudia Muhr ist Ärztin für Allgemeinmedizin am Klinikum Wels-Grieskirchen und spezialisiert auf Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin sowie Psychoonkologie.
„Um empathisch zu sein, muss man gegenüber den eigenen Gefühlen offen sein.“
Dr. Claudia Muhr
Ärztin für Allgemeinmedizin
am Klinikum Wels-Grieskirchen
Für mich ist Empathie
… die Fähigkeit des Nachempfindens von Gefühlen und die Bereitschaft, das Sein eines anderen Menschen, seine Emotionen, Gedanken, Motive, Empfindungen, Persönlichkeitsmerkmale, sein Aussehen und seine Gestik, wertfrei wahrzunehmen. Darüber hinaus ist es die Fähigkeit, den Standpunkt eines anderen Menschen zu verstehen, die Welt dieses Menschen „mit dessen Augen“ zu sehen und dessen Gefühle und Wahrnehmungen nachzuvollziehen. Empathie erlaubt, „angepasst“ auf Emotionen anderer zu reagieren. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft zur Selbstwahrnehmung und -reflexion. Ich muss für meine eigenen Gefühlen offen sein. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass die Fähigkeit zur Empathie vor allem durch sozialen Umgang in den ersten Lebensmonaten und Jahren erworben wird. Dabei ist die Qualität des Mutter-Kind-Bindungssystems von eminenter Bedeutung. Bis zu einem gewissen Grad ist Empathie auch im späteren Alter erlernbar.
Empathische Kommunikation ist heilsam
Als Ärztin beziehe ich die psychischen Befindlichkeiten eines Patienten in meine Arbeit mit ein. Körper, Geist und Seele sind für mich nicht trennbar, denn sie stehen miteinander in dauernder Wechselwirkung. Das macht unser „Mensch-Sein“ aus und ist für mich das Spannende am medizinischen Beruf. Ich bin überzeugt, dass „empathische Kommunikation“ mit Patienten, verbal wie nonverbal, im medizinischen Setting eine wichtige diagnostische wie therapeutisch heilsame Maßnahme ist.
Gibt es professionelles Mitgefühl? Muss es authentisch sein?
Professionelles Mitgefühl ist gleichzusetzen mit der sogenannten funktionellen Empathie: Dabei übt man sich im Nachvollziehen und reflektierenden Einfühlen der Emotionen des anderen. Das ermöglicht Distanz, die für professionelles Arbeiten notwendig ist und schafft Freiraum für aktives therapeutisches Arbeiten. Funktionelle Empathie ist zum Teil erlernbar und wird in vielen Berufen, wie etwa Management, Marketing, Psychologie oder Medizin, als strategisches Element („Empathie-Training“) gelehrt. Dabei spielt vor allem das Trainieren der Selbstreflexion und Selbstregulation eine wichtige Rolle, um einer hilfreichen „Authentizität“ näherzukommen.
Wie kann ein empathischer Zugang den Patienten unterstützen?
Patienten sind im Krankenhaus immer in einem Ausnahmezustand und reagieren gerade in dieser Situation sehr sensibel auf eine „nicht authentische“, also nicht empathische Umgebung bzw. Kommunikation. Die Folgen sind Unsicherheiten, Enttäuschungen, Ärger oder Ängste – Gefühle, die den Genesungsprozess negativ beeinflussen. Viele Studien zu diesem Thema, wie etwa die Forschungsergebnisse der Psychoneuroimmunologie, belegen, dass das Zusammenwirken von Körper und Seele bei der Entstehung von Krankheiten eine wichtige Rolle spielt. Sie erklären, wie Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen Einfluss auf unsere Gesundheit nehmen. Deshalb ist die empathische Kommunikation ein wichtiger präventiver und kurativer Faktor. Jeder Mensch braucht Zuwendung durch authentisches Interesse des anderen an seinem Leben, an der Geschichte, die er mit sich bringt. Dieses authentische Interesse am Patienten in den Beruf zu integrieren ist sinnvoll, weil „heilsam“. Letztendlich nicht nur für unsere Patienten, sondern auch für uns selbst.
Die Kapelle im Herzen des größten Ordensspitals Österreichs bietet Patienten, Besuchern und auch Mitarbeitern einen Ort der Stille, um nachzudenken, Danke zu sagen und auch sein Leid zu teilen. Der Kreuzweg symbolisiert den Leidensweg Christi. Schöpfer des Kreuzwegs, welcher die Südwand der Kapelle im Klinikum Wels-Grieskirchen ziert, ist der oberösterreichische Bildhauer Jakob Kopp. Nach Abschluss der Kunsthochschule in Linz widmete er sein Wirken hauptsächlich der sakralen Kunst.