Die digitale Welt im Kinderzimmer
Durch die digitale Welle hat die Gesellschaft eine tiefgreifende Veränderung erlebt, unser Lebensalltag hat sich stark gewandelt. Auch der Stellenwert von Medien ist für Kinder und Jugendliche heute ein anderer als für die Heranwachsenden früherer Generationen. In Maßen eingesetzt ein absoluter Gewinn, kann eine exzessive Nutzung von Internet und digitalen Spielen zu psychosozialen Problemen bis hin zu einer Abhängigkeit führen. Mit den Wirkungen und Auswirkungen der digitalen Welt beschäftigt sich das Department für Psychosomatik für Säuglinge, Kinder und Jugendliche am Klinikum-Standort Grieskirchen.
Das Spielen an PC, Tablet, Konsole oder Smartphone ist eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen unter Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Die Vorteile der Nutzungsmöglichkeiten von Computer, Devices und Internet überwiegen meiner Ansicht nach in allen Belangen gegenüber den Nachteilen“, ist Departmentleiter Adrian Kamper überzeugt. „Da es sich aber immer noch um eine neue Entwicklung handelt, welche rasant voranschreitet, sind die Langzeitfolgen noch nicht absehbar. Wie immer bei revolutionären Neuerungen bedarf es auch hier der Entwicklung sinnvoller Regeln.“ Die Bezugspersonen sind also gefordert: „Es liegt an den Eltern, dem Alltag von Kindern einen Rahmen zu geben, Anteil an ihrem Leben zu nehmen, sie an- und ihnen zuzuhören, anzuerkennen und zu loben, loben und loben … fordern und fördern Sie Ihre Kinder, gönnen Sie ihnen Pausen, finden Sie gemeinsam Alternativen und Lösungsstrategien und vergessen Sie nicht die eigene Vorbildwirkung als Eltern!“ So erwerben Heranwachsende respektvollen Umgang mit anderen Menschen, den richtigen Bezug zu Genussmitteln, wie Alkohol, und zu der digitalen Welt – Medien aller Art. Allerdings: Das globale Experiment der fast schrankenlosen Vernetzung der Menschen zur Kommunikation – seit ca. 2007 sind Smartphones am Markt – ist in seiner Größe einzigartig und die Folgen für Familien und Gesellschaft noch längst nicht abschätzbar.
„Die Auswirkungen auf Eltern-Kind-Interaktionen, die Basis verbaler und nonverbaler Kommunikation, stehen auf dem Prüfstand. Zum Beispiel: Das Kind im Kinderwagen weint, die Mutter ist in ihr Smartphone vertieft – das gibt es auch live bei uns in der Ambulanz zu sehen.“
Prim. Dr. Adrian Kamper
Leiter des Departments für Psychosomatik für Säuglinge, Kinder und Jugendliche
am Klinikum Wels-Grieskirchen
Nicht jeder ist gleich betroffen
Die Nutzer von digitalen Spielen werden in drei Gruppen unterteilt: „Einerseits können Internet, Computer und Devices, Virtual Reality und Avatare positiv zur Entspannung, zum Spaß, zum Kick, zur Challenge, zum Wettkampf beitragen – online, teils global oder mit Peers. Dieses Spielen ist mit positiven Gefühlen und mit Belohnung besetzt, es erfolgt unter Kontrolle bei einem adäquat gelebten Alltag.“ Bei einer zweiten Gruppe kommt es bei einem verstärkten Konsum zu einer gewissen Gewöhnung. „Diese Betroffenen wissen aber, dass das nicht gut ist – es gelingt ihnen, wieder loszulassen und einen geregelten Alltag zu leben.“ Manchen gelingt dies allerdings nicht: „Über eine Gewöhnung kann es zur Abnahme der Kontrolle kommen bis hin zu einem richtiggehenden Verlangen, dem sogenannten Craving – zur Abhängigkeit unter Aufgabe des Alltags“, erklärt der Experte.
Alltag außer Kontrolle
Nach der DAK-Studie „Game over: Wie abhängig machen Computerspiele?“ aus dem Jahr 2016 erfüllen insgesamt 5,7 Prozent der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland die Kriterien für eine Computerspielabhängigkeit (Internet Gaming Disorder). Die Betroffenen sind im Durchschnitt 15,5 Jahre alt. „Zu den negativen Auswirkungen dieser Störung zählen unter anderem das Auslassen von Mahlzeiten im Gegenzug zur Nutzung von Computerspielen, Streit mit den Eltern sowie das Vernachlässigen von sozialen Kontakten bis hin zum totalen Rückzug.“
Es liegt an den erwachsenen Bezugspersonen, dem Alltag von Kindern einen Rahmen zu geben, Anteil an ihrem Leben zu nehmen, sie an- und ihnen zuzuhören, anzuerkennen und zu loben, loben und loben … und vergessen Sie nicht die eigene Vorbildwirkung als Eltern!
Das sind Warnsignale
Meist bemerken nahe Angehörige den Computerspielmissbrauch zuerst, die Betroffenen selbst empfinden ihn anfangs nicht als störend und können das Problem nicht realistisch einschätzen. Wird das Thema angesprochen, kommt es regelmäßig zum Streit mit den Eltern. „Warnsignale sind zum Beispiel, wenn die gelebten Treffen mit Freunden in der Außenwelt abnehmen, Freizeitaktivitäten vernachlässigt werden und Gespräche mit den Eltern plötzlich kurz und oberflächlich verlaufen. Es kommt schon vor, dass Kinder dann laut werden und vehement mit ihren Eltern über Computerzeiten verhandeln.“ Ohne Spiel können sich die Jugendlichen launisch und wütend, depressiv und verstimmt, auch ängstlich verhalten. Schlaf- und Ruhezeiten verkürzen sich, eine Tag-Nacht-Umkehr kann entstehen.
Schwerpunkt am Klinikum Wels-Grieskirchen
Ein dysfunktionaler Mediengebrauch birgt ein hohes Potenzial, sich auf gesunde Menschen und speziell auf Jugendliche mit psychischen Erkrankungen auszuwirken. „Unser professionelles Wissen darüber wächst und wächst. Es gilt, den Fokus auf Prävention zu legen. Für uns am Department für Psychosomatik für Säuglinge, Kinder und Jugendliche bedeutet dies, die Lebenswelt der Heranwachsenden aus deren Perspektive zu sehen, individuelle Aufklärungsarbeit zu leisten und in Einzelgesprächen und Gruppenmodulen zu informieren.“ Wird bei den jungen Patienten deutlich gesteigerter Mediengebrauch erkannt, geht es vorrangig darum, dessen aktuelle Rolle im Lebensalltag zu verstehen. „Nach biopsychosozialem Verständnis versuchen wir gemeinsam, ein Modell zur Entstehung und Aufrechterhaltung eines regulierten Lebensalltags zu erstellen. Entscheidend ist, dass der betroffene Jugendliche zur Mitarbeit bereit ist“, so Kamper. „Dann können wir an Schritten der Veränderung arbeiten.“ Dies geht allerdings nur bis zu einem bestimmten Ausmaß des gesteigerten Medienkonsums. Besteht bereits ein suchtartiger Charakter, bedarf es der Behandlung an dafür vorgesehenen Einrichtungen.
Weiterführende Informationen
Das ist Computerspielabhängigkeit und so wird sie erkannt
- Typisch ist eine fortschreitende Einengung des Verhaltensspielraums
- So viel Zeit wie nur möglich wird für das Computerspielen aufgewendet
- Auch während anderer Aktivitäten denken die Betroffenen ans Computerspielen
- Um einen zufriedenen Zustand zu erreichen, muss immer länger und öfter gespielt werden
- Kann man nicht spielen, treten unangenehme emotionale und körperliche Zustände auf, wie etwa Ruhelosigkeit, Nervosität oder Niedergeschlagenheit (Entzugserscheinungen)
- Der Gebrauch ist schädlich, da sich Betroffene von Freunden abwenden und der Schule fern bleiben, die schulischen Leistungen leiden und Ausbildungen abgebrochen werden.
- Betroffene Jugendliche verbringen täglich acht bis zehn Stunden mit dem Spielen
- Andere Aktivitäten, schulische und persönliche Verpflichtungen und Interessen werden vernachlässigt, ebenso soziale Kontakte – nur noch „Spielerfreunde“ sind interessant
- Nahestehende Personen werden über das Ausmaß getäuscht
- Die Nahrungsaufnahme erfolgt unregelmäßig
- Der Tag-Nacht-Rhythmus ist oftmals verschoben
- Werden die Kinder am Spielen oder am Internetzugang gehindert, reagieren sie mit starker Wut und Widerstand
Tipps für die Eltern
- Leiten Sie Ihre Kinder zu einem sicheren und verantwortungsbewussten Umgang mit Internet und Computerspielen an!
- Nutzen Sie die technischen Möglichkeiten des alterspassenden inhaltlichen Schutzes!
- Informieren Sie sich über Inhalte, Alterskennzeichnungen und Suchtpotenzial!
- Interessieren Sie sich für Spielverhalten und -vorlieben Ihrer Kinder!
- Setzen Sie Ihrem Kind einen klaren Rahmen und achten Sie auf die Einhaltung!
- Bieten Sie Ihrem Kind Alternativen zum Spielen!
- Zeigen Sie ihm Möglichkeiten einer ausgewogenen Freizeitgestaltung mit positiven Erlebnissen und einer aktiven Stressbewältigung!
Zum Nachlesen
www.saferinternet.at, inklusive hilfreicher Elternbroschüre
„Tipps für Eltern – Medien in der Familie“