Seltene Erkrankung Myasthenie
Auch wenn die Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis zu den seltenen Erkrankungen zählt, nimmt die Zahl der Patienten jährlich um fünf Prozent zu. In Österreich werden derzeit rund 2.000 Patienten verzeichnet. Bei der belastungsabhängigen Muskelschwäche tritt eine Störung an der neuromuskulären Endplatte – der Verbindungsstelle von Nervenzelle und Skelettmuskelzelle – auf. Die Lebensqualität der Betroffenen leidet enorm darunter. Neue Medikamente geben Hoffnung auf verbesserte Therapieoptionen und mehr Unabhängigkeit für Patienten.
„Myasthenie ist eine klassische Autoimmunerkrankung“, sagt Raffi Topakian, Leiter der Abteilung für Neurologie am Klinikum Wels-Grieskirchen. „Die meisten Patienten, die zu uns kommen, sind zwischen 60 und 65. Es tritt eine fehlgeleitete Antwort des Immunsystems auf. Man nimmt an, dass der Auslöser meist ein Virus ist. Prinzipiell kann jeder betroffen sein.“
Augenmuskulatur beteiligt
„Ermüden bei Betroffenen die feinen Augenmuskeln beim Lesen oder Autofahren, können Doppelbilder auftreten oder die Lider senken sich“, so der Neurologe. „Sind die Patienten ausgeruht, bildet sich diese Schwäche teilweise oder komplett zurück. Bei Belastung tritt sie wieder auf.“ Bei der generalisierten Form können das Schlucken, Sprechen und Kauen betroffen sein, die Folgen sind Heiserkeit und undeutliches Sprechen bis hin zur Unverständlichkeit, manche Patienten müssen beim Kauen eine Pause einlegen. „Eine Schwäche der Arme und Beine macht sich beim Haarewaschen, Tragen oder Stiegensteigen bemerkbar“, sagt Topakian. Ist die Atemmuskulatur betroffen, kann Lebensgefahr auftreten und die Patienten müssen auf der Intensivstation versorgt werden.
Prim. Priv.-Doz. Dr. Raffi Topakian
Leiter der Abteilung für Neurologie
Einfache Diagnose, komplexe Therapie
Die Diagnose ist für die Experten am Klinikum Wels-Grieskirchen meist einfach zu stellen. Auch gibt es eine klare Abgrenzung zu CFS (Chronisches Erschöpfungssyndrom) und Long COVID. Die Therapie hingegen gestaltet sich komplex und zeitaufwendig. „In der symptomorientierten Therapie wird durch ein Medikament die Verfügbarkeit des Botenstoffes erhöht, wodurch die Muskelkraft steigt“, so der Neurologie-Primar. Viele Patienten profitieren davon, aber nicht alle. „Drei von vier Myastheniepatienten werden viele Jahre ihres Lebens eine Immuntherapie benötigen. Das Cortison mit hohem Nebenwirkungsprofil steht hier an erster Stelle. Zusätzlich gibt es Cortison-einsparende Medikamente, die erst spät wirken.“ Bei schweren Fällen können Blutwäsche und eine Immunglobulintherapie (Antikörper werden aus dem Plasma gesunder Menschen gewonnen und Patienten mit der Autoimmunerkrankung verabreicht) helfen. Neu am Markt sind Medikamente mit spezifischer, besserer und schnellerer Wirkung. „Sie sind teuer, aber vor allem für die rund 15 Prozent jener Patienten extrem wichtig, die auf die übrigen Therapien nicht gut ansprechen“, präzisiert der Spezialist.
Spezialambulanz „Muskel und Nerv“
Die Abteilung für Neurologie des Klinikum Wels-Grieskirchen bietet mit der neuromuskulären Ambulanz ein spezialisiertes Angebot – vor allem für Patienten mit Autoimmunerkrankungen. „Als eine der wenigen Anlaufstellen zur Abklärung und Therapie von Myasthenie sind wir für regionale und überregionale Patienten da“, sagt Topakian. Das Klinikum Wels-Grieskirchen nimmt aktuell federführend in Österreich an einer Studie zu einer neuen Substanz teil.
Stand: Mai 2024
Foto: Andrey Sayfutdinov